"Es ist göttlich, nichts zu bedürfen, und gottähnlich, nur wenig nötig zu haben." – Diogenes von Sinope

Materiell reduziertes Wohnen und Leben begegnet uns heute in allen Lebenslagen und Kontexten. Doch so neu, wie der Trend erscheinen mag, ist er nicht.

Bereits vor einigen Jahrhunderten übten sich Mönche und Asketen in Enthaltsamkeit, um eine höhere Bewusstseinsstufe zu erlangen. Minimalismus wurde bereits zu Zeiten Diogenes mit Glück in Verbindung gebracht: So war der selbstgenügsame Philosoph bereits der Meinung, dass nur die Unabhängigkeit von überflüssigen Bedürfnissen und äußeren Zwängen wirklich glücklich mache.

Im 19. Jahrhundert begeisterte sich der Amerikaner Henry David Thoreau für das einfache Leben, in dem er eine Blockhütte auf einem Waldgrundstück am See bezog und sein Buch „Walden und Leben in den Wäldern“ als Bibel des einfachen Lebens zum Kult machte. „Walden“ beschreibt den Versuch, einen alternativen und ausgewogenen Lebensstil zu praktizieren.

Auch heute noch bedeutet eine minimalistische Lebensweise, durch bewussten Verzicht Platz für das Wesentliche zu schaffen. Der Lebensstil und die damit einhergehende bewusste Entscheidung zur freiwilligen Einfachheit entstand in den letzten paar Jahrzenten ausgehend von der Kunstszene und den USA. Das reduzierte Konsumverhalten ist heutzutage weniger eine Entscheidung aus finanzieller Not, sondern vielmehr eine Gegenbewegung zur westlichen Überflussgesellschaft.

Allein der Gedanke daran, überflüssige Besitztümer loszuwerden, klingt nach Befreiung, besitzt doch jeder Deutsche heute im Schnitt mind. 10.000 Gegenstände. Damit kann ein minimalistisches Leben eine Lösung für eine materielle Belastung darstellen, die vielen Menschen zu schaffen macht. Es ist die Entscheidung für ein erfüllteres und selbstbestimmteres Leben. In der Forschung gibt es bereits einen Fachbegriff für die Überforderung durch Konsumgüter, nämlich das „Paradoxon der Wahlmöglichkeiten“, benannt nach dem Psychologen Barry Schwartz: diesem zufolge erhöhen zu viele Wahlmöglichkeiten nicht etwa die Freiheit des einzelnen, sondern wirken lähmend, machen unfrei und letztlich unzufrieden.

Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hätte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte. Ich wollte nicht das leben, was nicht Leben war; das Leben ist so kostbar. Auch wollte ich keine Entsagung üben, außer es wurde unumgänglich notwendig. Ich wollte tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen, so hart und spartanisch leben, dass alles, was nicht Leben war, in die Flucht geschlagen wurde.
— Henry David Thoreau

Minimalismus hat sogar bereits auf dem Wohnungsmarkt Einzug gehalten. Immer mehr Menschen entscheiden sich für ein Leben auf kleiner Fläche. Die Tiny-House-Bewegung aus den USA hat Deutschland längst erreicht. Neben dem Wunsch nach günstigerem Wohnraum und Eigentum ist der Wunsch nach Mobilität und Minimalismus laut Studien ausschlaggebend für die Entscheidung für ein mobiles Haus auf einem Trailer.

Hinzu kommt in Zeiten der globalen Klimakrise der Wunsch nach einem niedrigen ökologischen Fußabdruck. Um einen Beitrag gegen den fortschreitenden Klimawandel zu leisten, entscheiden sich Minimalisten bewusst dafür, auf Individualverkehr zu verzichten, für eine klimafreundlichere Ernährung, Zero-Waste und Slow Fashion aus nachhaltigen Rohstoffen. Studien belegen, dass sich Minimalismus damit positiv auf unsere Umwelt auswirkt.

Neben den klimafreundlichen Einflüssen einer minimalistischen Lebensweise bedingt der Minimalismus vorallem das psychische Wohlbefinden: eine Meta-Analyse von 23 Studien im „Journal of Positive Psychology“ zum Thema Minimalismus und Wohlbefinden an der University of North Texas konnte belegen, dass in mehr als 80% der Studien ein bewusst einfaches Leben mit einem erhöhten Wohlbefinden korreliert. Als Gründe dafür vermuten die Forschenden eine bessere Kontrolle des Konsumverhaltens zugunsten einer Mehr-Beschäftigung mit psychologischen Bedürfnissen wie Unabhängigkeit und Kompetenz, die zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen.